Schimmers Kolumne: Gelassen, nicht schläfrig!
Eine Anlagepolitik der ruhigen Hand zahlt sich aus – veränderte Rahmenbedingungen und Trendwenden sollte der Investor allerdings nicht ignorieren.
„Kaufen Sie Aktien, nehmen Sie Schlaftabletten, und schauen Sie die Papiere nicht mehr an. Nach vielen Jahren werden Sie sehen: Sie sind reich.“
Dieser Ratschlag des 1999 verstorbenen Börsengurus André Kostolany ist unter deutschen Anlegern geradezu zum geflügelten Wort geworden. Aber wie es nun mal so ist, mit Geflügel: Manchmal muss es auch Federn lassen, wenigstens ein paar.
Das beginnt mit zwei schlichten Fragen. Welche Aktien? Und wie viele Jahre? Was Kostolany damals pries, firmiert heute unter „Buy-and-hold-Strategie“ – kaufen und halten, das klingt gleich viel langweiliger, aber die entscheidende Frage ist, wie gut der Investor mit dieser Strategie tatsächlich fährt. Oder wie schlecht. Ein Rückblick auf die Börsengeschichte erlaubt einen Blick in den tiefsten Abgrund. Wer am Vorabend des großen Börsenbebens von 1929 breit gestreut in den amerikanischen Aktienmarkt investierte, musste in den kommenden zwei Jahren einen Verlust von 82 Prozent einstecken. Oder aber aussitzen; denn wer die Nerven nicht verloren und zu Tiefst-ständen verkauft hatte, der war nach 15 Jahren aus der Verlustzone wiederaufgetaucht, und von da an ging es sehr deutlich bergauf, zumindest auf lange Sicht. Aus 100 US-Dollar, die zu Beginn des Jahres 1929 in die nach Marktkapitalisierung und Liquidität 500 bedeutendsten US-Aktien investiert wurden, wären bis heute rund 700.000 Dollar geworden (unter Berücksichtigung der Inflation allerdings „nur“ 38.000 nach damaligem Kaufwert). Das belegt zumindest das detaillierte Datenmaterial, das der US-Ökonom Robert Shiller zusammengetragen und analysiert hat. Reine Zahlenspielereien, zumal es 1929 den Aktienindex S&P 500 noch nicht gab, der heute die 500 Top-Titel des amerikanischen Aktienmarktes auflistet.
Zur Risikoabschätzung ist es allerdings durchaus hilfreich, sehr ungünstige Szenarien zu kennen – und auch die elementare Bedeutung des Zeithorizonts. Ist der sehr weit gefasst, hat die passive Buy-and-hold-Strategie viel für sich. Die Bedeutung von Schwankungen nimmt über die Jahre ab, die Rendite nähert sich immer weiter dem Durchschnittswert – und der ist bei Aktienmärkten stattlich. Die Vorstellung, man könne die Märkte einfach machen lassen, beraubt den Investor einiger Chancen.
Keine Frage, Aktionismus ist schädlich, das Bemühen, auf jede Zuckung an der Börse ruckartig zu reagieren, strapaziert nicht nur die Nerven, sondern auch das Kapital. Also doch ein Plädoyer für Gelassenheit? Gegen die Einnahme von Schlaftabletten auf Kostolany-Rezept würden allerdings nicht nur Ärzte und Apotheker Einspruch erheben. Auch wenn eine Anlagepolitik der ruhigen Hand empfehlenswert ist, sind gewisse Anpassungen des Portfolios doch angesagt, wenn sich Rahmenbedingungen im großen Maßstab ändern. Pandemien, die weltweite Lieferketten lahmlegen, oder die geopolitische Transformation zu einer multipolaren Welt können hier als Beispiele angeführt werden. Und im Rahmen der Anlagestrategie macht es schon einen Unterschied, ob wir wieder eine positive Realverzinsung mit Anleihen darstellen können oder uns mit Negativzinsen konfrontiert sehen. Auch die zunehmende Bedeutung künstlicher Intelligenz in den vergangenen Jahren verschlafen zu haben, hätte potenzielle Rendite ausgebremst. Stillstand bringt uns der Ziellinie nicht näher, das gilt eben auch an der Börse.
Was allerdings tatsächlich für Gelassenheit und ruhigen Nachtschlaf des Investors sorgt, das ist neben einem möglichst ausgedehnten Zeithorizont eine breite Streuung (Diversifikation) bei Unternehmensanteilen über Weltgegenden und Branchen hinweg. Akzente lassen sich dabei natürlich setzen, etwa durch Themenfonds. Und auch im größeren Maßstab sollte Diversifikation nicht zu kurz kommen: Erst die strategische Allokation von Anlageklassen wie Aktien, Staats- und Unternehmensanleihen, Immobilien und Edelmetallen stellt eine renditeträchtige Robustheit her.
Bei einer individuell angepassten Feinjustierung des gewünschten Risiko-Rendite-Profils des Gesamtvermögens steht Ihnen bei der Haspa auf Wunsch natürlich Ihre Beraterin oder Ihr Berater zur Seite.
Wer sich seine Gemütsruhe bei einem kurzen und teilweise auch vorgegebenen Zeithorizont bewahren will, muss dafür allerdings unweigerlich Abstriche beim Ertrag hinnehmen, indem er auf Kurzläufer unter den Anleihen, auf Geldmarktfonds oder Tagesgeld setzt. Solche Kurzatmigkeit verträgt sich eben nicht mit einer Langstreckendistanz, die ein Investor idealerweise anstreben sollte, um Turbulenzen zu glätten und erfreuliche Erträge zu erzielen.
Gelassenheit am Kapitalmarkt hat die Grundvoraussetzung eines langfristigen Anlagehorizonts und damit verliert der perfekte Zeitpunkt für die Anlage merklich an Bedeutung. Und das bedeutet für Investoren konkret, dass die Reihenfolge der Jahresrenditen mit zunehmendem Anlagehorizont eine untergeordnete Rolle für das Endergebnis spielt. Market Timing, die Hatz auf den richtigen Ein- und Ausstiegszeitpunkt, müssen Langfrist-Investoren deswegen nicht betreiben. Für sie spielen ein, zwei oder sogar drei flaue Jahre an den Kapitalmärkten keine sonderliche Rolle.
Und so hat Kostolany am Ende doch recht: Gelassenheit zahlt sich aus. Nur die Schlaftabletten lassen wir besser weg und auf strukturelle Umbrüche, wie wir sie aktuell gerade erleben, sollten wir gezielt reagieren.