Die Bewegungen an den Kapitalmärkten waren in den letzten Tagen historisch. Eine abschließende Bewertung wird angesichts der dynamischen Entwicklungen in absehbarer Zeit wohl nicht möglich sein. Im Folgenden legen wir unsere aktuelle Einschätzung dar.
Wie war die Wertentwicklung?
Mit dem „Liberation Day“ und der Ankündigung von umfangreichen Zöllen für fast alle Länder der Erde am Abend des 2. April löste der US-Präsident ein weltweites Börsenbeben aus. Am nächsten Handelstag fiel der deutsche Aktienleitindex DAX um über 3 Prozent, das US-Pendant S&P 500 sogar um fast 5 Prozent. Am Folgetag setzten sich die Verluste mit rund 5 Prozent in Deutschland und 6 Prozent in den USA fort. Dass China Gegenzölle in gleicher Höhe ankündigte, bedeutete noch einmal, Öl ins Feuer zu gießen. So eröffnete der DAX am Montag mit einem Minus von 10 Prozent, drehte kurzzeitig ins Plus und schloss schließlich mit einem Minus von etwa 4 Prozent. Ein Handelstag, wie er in der Geschichte selten zu sehen war.
Die Betrachtung von einzelnen Tagen ist oft spektakulär und ruft Emotionen – in die eine oder andere Richtung – hervor. Blickt man rational auf die Entwicklung seit Jahresanfang 2025, steht der DAX noch nicht einmal bei minus 1 Prozent, was deutlich weniger dramatisch klingt. In den USA sieht die Lage etwas anders aus. Der S&P 500 steht bei einem Rückgang von minus 14 Prozent, der Technologieindex Nasdaq gar bei minus 19 Prozent.
Doch auch dieser Blick ist angesichts des herausragen-den Vorjahres zu relativieren. Berücksichtigt man die Wertentwicklung seit Jahresanfang 2024 sieht es wie folgt aus: +18 Prozent beim DAX, +6 Prozent beim S&P 500 und +4 Prozent beim Nasdaq.
Was ist unsere Meinung dazu?
Spätestens seit dem Eklat im Weißen Haus beim Treffen mit Selenskyj ist klar, dass Donald Trump ernst macht. Dadurch, dass die Republikaner die Mehrheit im Senat und im Repräsentantenhaus haben und der Oberste Gerichtshof konservativ besetzt ist, hat Trump alle Machtzentren in seiner Hand und kann als „entfesselt“ bezeichnet werden. Zudem ist er nicht mehr von langjährigen Experten umgeben, sondern von Ja-Sagern und Gleichgesinnten, die ihm kaum widersprechen oder andere Sichtweisen präsentieren. Er setzt das um, was er angekündigt hat und die Reaktion der Kapitalmärkte scheint ihm – anders als noch in seiner ersten Amtszeit – weitgehend egal zu sein. Im Gegenteil, er kündigte bereits eine Übergangsphase der Entgiftung („Detox“) an.
Das Problem an der Handelspolitik ist nicht nur die Einführung und Höhe der Zölle allein, die die Entwicklungen der Globalisierung ignorieren und die Preise in den USA deutlich steigern dürften. Ähnlich schwer wiegt die Nicht-Berechenbarkeit aufgrund des Hin und Her, die Unsicherheit stiftet und zum Aufschub von Investitionen und nicht nötigem Konsum führt. Mehr dazu im letzten Absatz (Exkurs) zur US-Konjunktur. Das größte Risiko besteht jedoch im nachhaltigen Vertrauensverlust in die US-Regierung.
Was Trump unserer Meinung nach unterschätzt hat, ist, dass die USA als größte Volkswirtschaft in einem Zollkonflikt zwar jeweils der relativ kleinere Verlierer sind. Doch wenn sie hundertmal der kleinere Verlierer sind, sind sie am Ende einmal der große Verlierer.
Wie ist unser Ausblick?
Solange sich, anders als in den 1930er Jahren (Smoot-Hawley-Zollgesetz), die anderen Länder nicht auch untereinander mit Zöllen überhäufen, dürften die Effekte sehr spürbar, aber verkraftbar sein. Das KITE (Kiel Institute Trade Policy Evaluation) Modell kommt zu folgenden Schätzungen für das Wirtschaftswachstum binnen eines Jahres: minus 0,3 Prozent für Deutschland, minus 0,2 Prozent für die EU und minus 1,7 Prozent für die USA. Diese Werte sind auf den „normalen“ BIP-Zuwachs hinzuzurechnen. Die Inflation würde dem Modell zufolge in den USA um rund 7 Prozentpunkte steigen und in Deutschland um 1 Prozentpunkt fallen.
Einschränkend ist anzumerken, dass das Modell nur die unmittelbaren Effekte der Zölle berücksichtigt. In den USA könnte der „wealth effect“ hinzukommen, demnach US-Haushalte weniger konsumieren, wenn sie sich aufgrund gefallener Aktienkurse ärmer fühlen. Auch die Effekte aus der Verunsicherung bleiben unbeachtet. Letztlich ist auch die Frage, ob der Rest der Welt unbeeindruckt bliebe, wenn die USA in eine Rezession gehen würden.
Eine US-Rezession ist nicht unsere Kernannahme, doch ist das Risiko für eine Stagflation (Stagnation + Inflation) gestiegen. Insgesamt gehen wir weltweit von niedrigeren Wachstumsraten aus. Wir sehen aber auch mögliche positive Entwicklungen. Der Druck von außen könnte die EU zusammenrücken lassen und Reformen ermöglichen. Der verlässliche institutionelle Rahmen kann Europa als sicheren Hafen für Forschende, Investoren usw. erscheinen lassen.
Eine ernste Gefahr besteht dagegen darin, dass der Kapitalstrom in die USA nachlässt und damit das riesige US-Staatsdefizit zum Problem wird und die De-Dollarisierung schneller abläuft als bislang gedacht. Wenn der Greenback etwas von seiner Funktion als Weltreservewährung einbüßt, könnte sich der Wechselkurs Richtung Kaufkraftparität von 1,40 US-Dollar pro EUR entwickeln. Auch wenn dieser Wert übertrieben sein dürfte, scheint eine Abwertung wahrscheinlicher als eine Aufwertung.
Was sollten Anleger jetzt tun?
Eine Prognose der weiteren Entwicklung scheint angesichts des extremen Politikfokus kaum möglich. Zu erratisch waren die Entwicklungen der letzten Wochen. Zum einen könnten einzelne Zölle nun doch wieder entschärft werden. Aber auch eine weitere Eskalation kann nicht ausgeschlossen werden. Zudem sind die angekündigten Steuersenkungen noch ausstehend, die Aktienmärkten Aufwind verleihen könnten. Schließlich waren die jüngsten Abwärtsbewegungen so stark und abrupt, dass eine Gegenbewegung vorprogrammiert scheint. Doch wie weit könnte sie tragen?
Anleger sollten sich an die klassischen Börsenweisheiten halten: Angst und Panik sind schlechte Ratgeber. Auch „Markettiming“ zum perfekten Aus- und Einstieg funktioniert selten. Die Kapitalanlage sollte als Marathon und nicht als Sprint gesehen werden. Langfristige Anlagestrategien sollten nicht über Bord geworfen werden. Zu guter Letzt halten wir an unserem Mantra der robusten Aufstellung mit einer guten Diversifikation zwischen und innerhalb der Anlageklassen fest.
Doch was lässt sich daraus nun konkret ableiten? Zuletzt haben wir einige Ungleichgewichte festgestellt, die entsprechende Chancen bieten sofern sie nicht bereits berücksichtigt wurden:
Zwar halten wir bei Aktien an einer globalen Aufstellung fest, doch scheint dabei häufig der Blick auf den Heimatmarkt vernachlässigt worden zu sein. Denn auch Deutschland als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und die EU sind Teil dieser internationalen Aufstellung.
- Auch ohne Rezession dürfte es zu einer globalen Konjunkturabkühlung kommen. In solchen Phasen haben defensive und Dividenden ausschüttende Werte oftmals die Nase vorne.
- Der europäische Rentenmarkt mit durchschnittlich guten Bonitäten erscheint attraktiv.
- Ergänzungsanlagen sollten berücksichtigt werden. Inflationsanleihen bieten beispielsweise einen garantierten Kapitalerhalt.
- Direktinvestments in Infrastrukturanlagen tragen ebenfalls zur Diversifikation bei.
- Aus Finanzierungssicht sollten Zins- und Währungsrisiken abgesichert werden. Angesichts der ungewissen Zeiten kann man sich Planungssicherheit nur selbst schaffen.
Fazit
Insgesamt raten wir in der aktuellen Zeit dazu, einen kühlen Kopf zu bewahren und weder voreilig Anlagen abziehen, noch riskante Spekulationen einzugehen. Mit einem diversifizierten Portfolio wird man weder von Bewegungen nach unten, noch nach oben überrascht. Einen höheren Detailgrad bzw. eine Präzisierung der Anlagestrategie lässt unsere demnächst zur Veröffentlichung anstehende Frühjahrsprognose erwarten.